S t a t e m e n
t
Nachdem ich im Juni 1987 aus siebenmonatiger
DDR-Haft entlassen wurde war die im November 1986 und später,
nach meiner Verurteilung im Januar 1987, stattgefundene öffentliche
Thematisierung der Strich-Aktion längst wieder aus dem medialen Focus
verschwunden. Da meine Freunde, ich und mein damaliger Anwalt meine Freilassung
den Medien nicht bekanntgaben konnte eine mögliche und vermutlich
dann abschließende Fortsetzung dieser öffentlichen Thematisierung
dadurch unterbunden werden, denn das Thema war sowohl inhaltlich als auch
bezüglich der Folgen in dem Moment beendet,in dem ich freigelassen
wurde.Meine Haft war sozusagen nur der Rattenschwanz einer unfreiwillig
früher als geplant beeendetn Aktion. Es wurde nach meiner Freilassung
im Freundeskreis kaum noch darüber gesprochen und auch für meine
damaligen Mitstreiter war das Thema offensichtlich erledigt. Dokumentationen
oder die öffentliche Erwähnung dieser Aktion findet man
aus der Zeit nach meiner Haft bis weit darüber hinaus vergeblich,
auch die verwendeten Utensilien und farbspurigen Kleidungsstücke wurden
- mit Ausnahme der von mir als Erinnerung an meine ersten Westberliner
Jahre aufbewahrten Jacke- nicht etwa für eine spätere Präsentation
aufbewahrt.
Die Aktion und ihre Folgen waren
kein Thema mehr und die nach der In-
haftierung hergestellte Öffentlichkeit
hatte lediglich den pragmatischen Sinn der Skandalisierung der Verhaftung
und Solidarisierung mit dem Verhafteten gehabt, um die Freilassunng auf
diesem Wege zu beschleu-
nigen. Diese mediale Funktion hatte
sich mit meiner Freilassung erüb-
rigt und damit war die neben dem
Nachrichten-Unterhaltungseffekt einzige Aufgabe der Medien beendet.
Erst im Zuge des Endes der DDR kam
es sehr selten zu kleineren Anfragen aus der Öffentlichkeit. Obwohl
für mich das Thema beendet war, reagierte ich jeweils entgegenkommend
und gab ohne jede Scheu vor dieser Vergangenheit Auskunft, allenfalls war
jeweils der Überdruss an der Wiederholung des Themas zu überwinden,
was mir aber deshalb letztlich nicht schwerzufallen hatte, weil ich nun
jenen einen Gefallen tat, die mir mit ihrer öffentlichen Thematisierung
damals einen getan hatten, als ich mich in Haft befand. Auch unmittelbar
nach meiner Freilassung hatte ich den Ort der Verhaftung zweimal besucht,
einmal direkt am Tage der Haftentlassung, einmal Wochen später mit
meinem Sohn und Frank Will-
mann. der mein entspanntes Lächeln
direkt vor jener Mauertür fotogra-
fierte, durch die ich Monate zuvor
nach Ostberlin verbracht worden war.
25 Jahre lang war das angebliche
Spektakel „weisser Mauerstrich“ trotz der Möglichkeit der Thematsierung
nicht der Rede wert gewesen, gerade auch denen nicht, die 2009, angeregt
vor allem durch die Zusicherung öffentlicher Gelder und ihren Job
als „Aufarbeiter“, plötzlich erhöhtes Interesse an einer
Aufbereitung des Themas zeigten. Erst die Zusicherung eines vorauszahlungsgarantierenden
Werkvertrags sorgte dafür, das Thema plötzlich nicht nur
aus der Versenkung herauszuholen, sondern in die Überhöhung hineinzukatapultieren,
was sich für den Außenstehenden aber erst nach Veröffentlichung
des Buches zeigte.
Bei dem Buchprojekt von Hahn/Willmann
stand ich seit Anfragebeginn zur Verfügung. Neben einigen anderen
Mitwirkungen, darunter einer Podiumsveranstaltung im Gefängnis Bautzen
II, gab ich zwei Abende für ein Interview mit F.Willmann,
dessen Verarbeitung ich später nicht nur mit meinen Erinnerungen
abglich und ergänzte, sondern zu einem eigenen Text umschrieb.
Während der Beteiligung an
diesem Buch war ich immer noch davon ausgegangen, daß die von den
Autoren anvisierte Leserschaft in mehr oder weniger linksliberalen Kreisen
zu finden sein würden statt im Main-
stream der DDR-„Aufarbeitung“, für
die z.B. im Realsozialismus agierender Punk und linke Subkulturen immer
nur eine Opposition gegen das SED-
Regime gewesen sind und nie eine
darüber hinausgehende, systemüber-
greifend kulturradikale Haltung.
Deshalb verwundert es auch überhaupt nicht, wenn "die Aufarbeitung",
wie auch im Fall dieses Projekts gesche-
hen, ihr Material bedenkenlos Medien
wie dem Springer-Konzern (2011)
zur Verfügung stellt oder rechte
Kräfte in ihren Museen beschäftigt.
Die bereits kurz vor und nach Veröffentlichung
des Buches eingehenden Medienanfragen ließen vermuten, daß
es offenbar um eine im Vorfeld großangelegte und dabei den 50.Jahrestag
des Mauerbaus ins Kalkül der Aufmerksamkeitsgenerierung einbeziehenede
große Sache werden sollte. Nachdem ich trotz bereits früh einsetzendem
Überdruss - im Grunde war ja mit meinem Text bereits alles gesagt-
zwei Radiostationen, einer Print-Zeitung und einem Berliner Regionalfernsehsender
ein Interview gegeben hatte und erst daraufhin das Buch zum Lesen bekam
stand ich daraufhin keinem der anfragenden Medieninstitutonen mehr zur
Verfügung und sagte auch denen ab, mit denen ich bereits einen Termin
vereinbart hatte. Zu dem einsetzenden Wiederholungs-Überdruss, der
Abneigung gegenüber der Überhöhung der Aktion, der verzerrten
Motivations-
darstellung (Protest, Focus DDR-System),
den Unwahrheiten im Buch kam hinzu, daß ich nach dem Lesen seines
Buches mit Frank Willmann nicht mehr gemeinsam öffentlich auftreten
wollte.
Neben der bereits schnell einsetzenden
Müdigkeit, den immer nach den gleichen Tags gestellten Fragen zu antworten
war der Grund für meinen Rückzug wie bereis angedeutet vor allem
der mir inzwischen bekannt-
gewordne Inhalt des Buches „Der
weisse Strich“, welches in der Art des Lichts, welches es auf diese Aktion
wirft nicht nur jenen DDR-Aufarbei-
tungs-Kanon bedient, sondern auch
unabhängig davon die Aktion a posteriori auch noch in einer Weise
darstellt, die ihr nicht entspricht. Es handelte sich bei dieser Aktion
weder um einen Protestakt gegen die DDR und deren Mauer noch, wie es später
ganz im Sinne aufarbeitungs-
typischer DDR-Geschichts-Integrationen
hineingedeutet wurde, um die persönliche Abrechnung eines Ex-Spitzels
der Staatssicherheit mit der Macht, der er gedient hatte. Entsprechende
Dokumente, die meine Auffassung belegen, habe ich auf dieser Website beigefügt.
Es kann nicht sein, daß gleich zwei nicht unwesentliche Zeitdokumente
wie die vom Aktionsinitiator an die Berliner Mauer aufgetragende Motivationsbotschaft
zur Aktion sowie die Erklärung in einer von den Strichmalern
nach meiner Verhaftung herausgegebenen Dokumentation in einem Buch,
das sich ausschließlich und nicht bloß beispielbeisteuernd
reduziert und darum verallgemeinert dieser Aktion widmet keinerlei Erwähnung
finden. In dem ersten Dokument wird ausgedrückt, daß der Strich
die ghettoähnlichen Grenzen Westberlins markieren soll, im zweiten
Schriftstück wird betont, daß der weisse Strich nicht gegen
die Mauer gerichtet ist, deren historische Gegebeneheit akzeptiert wird,
jedoch -sinngemäß- die Malereien diese Gegebenheit kaschieren
und daher durchgestrichen gehören. Zudem gab es in dem Buch
insbesondere vom diesbezüglich äußerst forschen Forscher
Frank Willmann eine Reihe von Unwahrheiten zu lesen, sei es die Darstellung
der Verhaftungssituation oder privater Sachverhalte wie die von ihm frei
erfundene Opposition mei- ner Geschwister gegen meinen Vater, die es nie
auch nur ansatzweise gegeben hat und über dessen angebliche Existenz
die Betroffenen völlig empört waren, als sie davon erfuhren.
Aber wahrscheinlich leben laut Willmann auch die allesamt in einer Welt,
die nur sie verstehen.
Um die Annäherung an die Realität
der damaligen Verhaftungssituation habe ich mich auf dieser Webseite mit
der komplementären Zusammen-
stellung einiger Zeitdokumente bemüht.
Nachdem ich aus den hier ge-
nannten Gründen der Öffentlichkeit
nicht mehr zur Verfügung stand und auch Frank Willmanns Einladung,
der Ausstellungseröffnung über die Strichaktion beizuwohnen nicht
entsprach erklärte mich Willmann kurzerhand und dabei meine Verstörung
über das Buch nutzend für unzurechnungsfähig, statt auch
nur einmal über die Gründe für mein Verhalten nachzudenken.
Meinen Rückzug vermittelte er der Öffentlichkeit nun so, als
litte ich unter einem Hafttrauma, das es mir unmöglich machte, mich
der Vergangenheit zu stellen, obwohl ich dies bis zum Auftreten der genannten
Rückzugs-Gründe durchaus und sehr offen und detailliert getan
hatte.
(Willmann datiert die Zeit meines
geistigen Zusammenbruchs inzwischen auf meine Haftentlassung 1987, obwohl
ihn dieser von ihm diagnostizierte Geisteszustand seinerzeit mit einer
Unterbrechung bis Anfang 1991 immerhin dazu inspirierte, gemeinsame
Gedichte, Kunstfotos, Textvertonungen und Reisen zu machen. Auch fragt
sich angesichts seines Befundes, was ihn 2010 überhaupt dazu veranlasst
hat, mich zwei Abende lang für sein Buch zu interviewen und mich zur
Teilnahme an diversen erklärenden Öffentlichkeitsprojekten zu
bewegen. Oder warum in diversen Zeitschriften Texte von mir abedruckt wurden
wenn nicht aus dem Grund, daß sie vom potenziellen Leser vermutlich
verstanden werden.
Ganz abgesehen davon, was wohl diejenigen
über solch eine Einschätzung sagen, mit denen ich seit 1987 befreundet
oder gut bekannt war oder bin)
II.
Aus der ursprünglichen Anfrage
nach einem Interview für ein Buch waren nach dessen Veröffentlichung
circa 15 weitere Interview-Anfragen geworden. Hinzu kamen selbstverständliche
Teilnahmeerwartungen für eine Podiumsveranstaltung im Gefängnis
Bautzen, eine Filmanfrage, die Bereitstellung meiner aufbewahrten Aktionskleidung
und meiner künstle-
rischen Arbeiten für eine Ausstellung,
Dreharbeiten in Weimar und für die Eröffnung einer Ausstellung.
Ich sagte alles ab.
Nachdem ich Frank Willmann
nicht mehr zur Verfügung stand und damit kein möglicher Nutzen
ihm einen halbwegs respektvollen Umgang mit mir abverlangte erkärte
er mich zum von der Gefängnishaft gezeichneten Psychopathen, der in
einer Welt lebe, die nur noch er verstehe, obwohl ich bereits mit meinem
für sein Buch geschriebenen Text und den gegebenen Interviews das
Gegenteil ausgedrückt haben dürfte. Neben meiner kurzzeitigen
Verstörung nach dem Lesen des Buches instrumentalisierte Willmann
auch ein Mitte der 90er Jahre im Zuge einer chronisch gewor-
denen Viruserkrankung von mir veranlasster
Psychiatrieaufenthalt für sein Vorhaben. Seinerzeit hatte ich mich
für Wochen in ein psychiatrisches Krankenhaus begeben, weil
die Therapierung meiner nach einer diag-
nostizierten Masernerkrankung nicht
abgeklungenen körperlichen Symptome schulmedizinisch und naturheilkundlich
nicht erfolgreich verlief, sodaß mein nächster Schritt der Versuch
gewesen war, sie unter psychosomatischer Perspektive zu heilen. Interessant
an dem Psychiatrieaufenthalt war, wie leichtfertig die Krankheitsursachen
von Patienten mit dem Konsum von Haschisch begründet wurden, so auch
bei mir, obwohl ich damit gar nichts zu tun hatte. Die Erkenntnis daraus
ist für mich, daß die Begründungen für eine bestimmte
Sache je nach den Begründungs-Stereotypen des Bereichs, in welchen
sie sich begeben völlig unterschiedlich sind. Jede "Käseglocke"
hat ihre eigenen Deutungstereotypien. Es ließe sich eine Erfahrungsreise
damit machen, ein und dasselbe Symptom von verschiedenen Einrichtungen
interpretieren zu lassen. Die Interpretationen werden fast so verschieden
sein wie die Zahl der Einrichtungen, denen es vorgestellt wird.
Und die DDR-Aufarbeitung ist eine
dieser Einrichtungen.
Wenn man die alltagsverwobene Komplexität
und Vielfalt seines Lebens, seine wahren Antriebe und Konditionierungen
aufspüren möchte, so ist man bei in "Plastikwörtern" (Pörksen)
sprechenden Stereotypfabriken alles andere als gut aufgehoben.Die Frage
ist letztlich nicht, ob man eine Traumatisierung nicht wahrhaben möchte,
sondern mit welche Automatismus sie gewissermaßen serienmäßig
konstatiert wird, sobald irgendein Symptom, ein Verhalten und die Vergangenheit
als Opfer des damaligen Gesellschaftssystems zusammentreffen. Es ist dieselbe
automatische Zuweisung, wie sie damals der mich erstvernehmende Grepo-Offizier
im Todesstreifen-Gebäude vornahm: "Hat schonmal wegen antisozialistiscjhem
Verhalten in DDR-Haft gesessen. Alles klar, also auch hier antisozialistisch
motiviert. Abführen." folgert der Offizier. "Hat Nierenschmerzen
oder Winterdepression und schonmal in DDR-Haft gesessen. Alles klar, liegt
an DDR-Haft." folgert der "Aufarbeiter".
In beiden Fällen handelt es
sich um professionell ausgeübte Freiheits-
beraubung durch einen institutionsintern
erzeugten und dann serienmäßig angewendeten Algoritmus.
Daß es Willmann auch gar nicht
darum geht, einem von ihm als trauma-
isiertes Opfer bezeichneten Menschen
zu einer Inanspruchnahme von Hilfe zu bewegen, sondern einfach ein Etikett
zu vergeben, mit dem er die Stimme desjenigen für unzulänglich,
ja nichtig erklärt, beweist die völlige
Funktionalisierung solcher Diagnosen.
Wenn ich mich mit der Vergangenheit
der DDR beschäftigte versuche ich, deren Umstände differenziert
und getrennt von ihrer affektiven Zuweisung zu shen. Das heißt, hört
man z.B. die Worte "Gefängnis" und "DDR " in einem unmittelbaren Zusammenhang,
bedeutet das keineswegs, daß sich das Gehirn gedanklich zwangsläufig
auf die Beschäftigung mit der Hölle einzustellen hat. Ich halte
es beispielsweise für falsch, ein Gefängnis als Zuchthaus und
Ort des Grauens zu bezeichnen, wenn es nicht der Realität entspricht.
Eine solche unzutreffende Charakterisierung macht letztlich alles beliebig
und beleidigt damit auch diejenigen Menschen oder eigenen Situationen,
die durch Differenzierungen in der Besonderheit der Umstände, die
sie zu ertragen hatten, erkannt und damit auch erst an-erkannt werden
können. Die also , was das oben genannte Beispiel betrifft- tatsächlich
in einem Zuchthaus und in unerträglicher Haft verbringen mußten.
Ebenso macht es wenig Sinn, eine
Aktion, die nur aus der damaligen Situation des Westberliner Lebens verstehbar
ist heute unter der Haube der DDR-Aufarbeitung nicht nur zu behandeln,
sondern in einer Weise zu spektakeliseren, die ihrem damaligen „Geist“
überhaupt nicht gerecht wird. Es handelte sich, wie oben belegt, weder
um eine Protestaktion noch um Kunst in dem Sinne, der ihr heute beigelegt
wird. Daß sich dabei mit Anne Hahn jemand zum historischen
Sprecher dieser Aktion macht, der weder die Aktion selbst noch auch nur
einen Tag lang die Umstände (das damalige Leben in Westberlin im Schatten
der bunt bemalten Mauer) erfahren hat, unter denen und wegen denen
sie stattgefunden hat. ist ziemlich bezeichnend.
Dieselbe mit angeblichem Hafttrauma
begründete Psychopathologisierung
meiner Person nahm 3 Jahre später
der mit Frank Willmann bekannte Filmemacher Gerd Kroske vor und dies
ebenfalls erst,als ich ihm -nach meinem von ihm als Filmteilnahme uminterpretierten
Materialsende-
angebot - definitiv zu verstehen
gab, daß ich bei seinem Film wie bereits seit Kontaktaufnahme mitgeteilt,
nicht mitwirken möchte. In dem Moment, in dem feststeht, daß
man nicht oder nicht mehr wie gewünscht nützen wird setzte die
Psychpathologiserung der unnützen Person ein. Sei es, weil die Absage
die Eitelkeit verletzt, sei es aus Neutralisierung von Kritik oder weil
es dafür, daß man sich ihrer Einladung zum öffentlichen
Auftreten entzieht nur den Grund der Angst vor dem Thema oder gar allgemeine
Unzurechnungsfähigkeit geben darf oder kann. Die Deutungshoheihiten
und "Seilschaften" sind inzwischen so verschoben, daß bereits die
Erwägung, das Publikum vielleicht über die wahren Gründe
meiner Absage zu informieren keinerlei gedanliche Option darstellt.
Im Umgang mit dem Enthalten gegenüber
den ein-deutigen Deutungs-
mustern der DDR-Aufarbeitung ähnelt
diese in ihrer Wirkweise dem heutigen Umgang mit der Überwachung der
Telekommunikation. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung
hat nichts gegen die Über-
wachung ihrer E-Mails und Telefonate
einzuwenden, da sie der Ansicht ist, nichts zu verbergen zu haben. Damit
sind all diejenigen, die sich aus prinzipiellem Schutz ihrer Eigensphäre
dieser Überwachung entziehen oder diese kritisieren automatisch verdächtig.
Auch schafft sich die abnickende Majorität mit dieser Toleranz
die zukünftigen Voraussetzungen, sich in dem Moment verdächtig
zu machen, in dem sie sich aus guten Gründen, zum Beispiel des spürbar
schädigenden Mißbrauchs durch wirtschaftliche und politische
Mächte, plötzlich der Überwachung entzieht. Der Schutz der
Eigensphäre sollte aber ein Prinzip sein. Darüberhinaus sollte
diese Sphäre wegen der hier beschriebenen einsetzenden Automatismen
gegen alle Unbedenklichkeitstoleranz verteidigt werden.
In der DDR-Aufarbeitungsmethodik,
die sich inzwischen eine teilweise geradezu anmaßende Deutungshoheit
über Biographien und Ereignisse herausnimmt oder ihren Protagonisten
diese zur Übernahme ganz selbstverständlich zupasst, wird Zurückhaltung
gegenüber dieser Art Aufarbeitung meist damit begründet, daß
man wegen traumatsierender Vergangenheitserlebnisse in der DDR oder wegen
einer eventuellen früheren Spitzeltätigkeit für das MfS
die Er-innerung oder aber zumindest deren Ver-Äußerung blockiert.
Die Selbstverständlichkeit,
mit der diese Form der Aufarbeitung exzessiv betrieben wird macht jeden,
der sich entzieht zu einem Kandidaten dieser beiden Gründe, sodaß
diejenigen, die schon wegen der darauf einset-
zenden Sonderwahrnehmung nicht in
die Nähe solcher Vermutungen kommen möchten, leicht unter einen
gewissen Druck geraten können,
sich der Teilnahme bloß nicht
zu entziehen.
Genau wegen dieses selbstverständlichen
Anspruchs und der nicht immer, aber offenbar sehr häufig einsetzenden
Wahrnehmung denjenigen gegenüber, die diesem Anspruch nicht oder nicht
ausreichend genügen sollte man sich schon aus Prinzip der Selbstverständlichkeit
nahezu uneingeschränkter Mitwirkung an diesem Bewußtseinsindustriezweig
entziehen.
Wolfram Hasch
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